Christian Kern und Claudia Stöckl an einem gedeckten Tisch

Hitradio Ö3/Martin Krachler

Bundeskanzler Christian Kern zu Gast

Im ersten Teil der Reihe „Ö3-Sommergespräche“ zog Christian Kern Bilanz über sein erstes Jahr als Bundeskanzler: „Es gab in diesem Jahr keinen einzigen Moment gegeben, an dem ich bereut habe Bundeskanzler zu sein. Ich bin noch nie mit dem Gedanken aufgewacht: ‚Warum habe ich mir das angetan?‘ Das ist eine Aufgabe, die ich mit Freude mache.“

Ob er trotz aller unerwarteter Herausforderungen wie der Koalition in Scherben, vorgezogene Neuwahlen, immer cool und gelassen sein konnte? Kern auf Ö3: „Ich neige dazu negative Emotionen nicht vor mir herzutragen, sondern Leute zu motivieren, den Optimismus zu stärken. Das erwarten die Leute auch zu Recht von mir. Du kannst nicht sagen ‚Ich führe das Land in die Zukunft‘, wenn du bei der ersten Hürde meinst: ‚Ui, die ist mir zu hoch.“ Dass er jetzt genau das erlebe, was er in seiner Diplomarbeit beschrieben hatte - wie schnell sich die Gunst der Medien gegenüber Politikern ändern kann - kommentiert er so: „Wenn man weiß, dass es so ist, hat man keine andere Erwartungshaltung.“

"Es gibt oft sinnlose Diskussionen“

Trotzdem gestand Christian Kern ein: „Ja, die SPÖ muss sich ändern, gar keine Frage, daran arbeiten wir auch. Es gibt oft sinnlose Diskussionen.“ Trotzdem sei er froh, „Teil dieser Gemeinschaft zu sein“. Zu einer möglichen Koalition mit der FPÖ betonte Kern, dass sich seine Partei noch vor den Wahlen festlegen wolle. Definiert werden soll vor allem, wofür die SPÖ steht und nicht wogegen. Dass Sebastian Kurz für ihn eine Reizfigur sei, wie oft gesagt wird, „falle in die Kategorie der Gschichtln und Legenden.“

„Politik ist eine Selbstbeschäftigungsorgie“

Doch Kern rechnete im Ö3-„Sommergespräch“ vor allem auch mit der Politik, die er in den letzten Wochen erlebt, ab: „Es wird oft über mich gesagt: Das ist ja gar kein Politiker. Immer wenn ich das höre bin ich eigentlich stolz darauf. Weil meine Erwartungshaltung ist, ich will, dass sich langfristig etwas bewegt in diesem Land. Und nicht morgen die Schlagzeile zu produzieren. Ich habe einmal gesagt, Politik besteht zu 95 Prozent aus Inszenierung und die letzten Wochen haben mich massiv darin bestätigt. Da geht es um Posten, Poker, Parteitaktik. Das ist auch was mich am wenigsten an der Aufgabe interessiert. Dass ist so eine Selbstbeschäftigungsorgie, wo ich mich jedesmal wenn ich Leute mit den realen Probleme treffe, mich eigentlich geniere, dass es so läuft.“

Dass bei manchen in seinem Team die Nerven blank liegen würden - letzte Woche gab es die Gerücht von ‚tätlichen Auseinandersetzungen‘ im Bundeskanzleramt - dementierte Christian Kern lachend: „Die Geschichte ist aufgebauscht. Es gab Diskussionen zwischen zwei Kollegen, die sich nicht verstehen. Es kam zu einer Schubserei. Von Ohrfeige, Massenschlägereien a la Asterix, wie es durch die Medien geht, kann keine Rede sein. Aber natürlich: es ist eine riesige Eselei und nicht zu entschuldigen.

„Habe viel Glück in meinem Leben gehabt“

Seinen Gemütszustand bezeichnete Kern: „Ich bin zu 100 Prozent glücklich. Ich habe so viel Glück in meinem Leben gehabt, so viel Liebe genossen und soviel Zuneigung, ich bin jemand, der mit sich und seinem Schicksal im Reinen ist.“ Über die Ehe mit seiner Frau Evelyne Steinberger-Kern meinte der 50-Jährige im Gespräch mit Claudia Stöckl: „Ich bin dem Schicksal ewig dankbar, diese Frau kennengelernt zu haben. Sie ist mein wirklicher Lebensmensch.“

An die Diskussionen um seinen „Lifestyle“ habe sich der SP-Kanzler gewöhnt. Die guten Verdienste als Manager bei der ÖBB und auch jetzt als Bundeskanzler verleugnen wolle Kern nicht. „Ich muss nicht Sack und Asche zu meinem Lebensprinzip machen“. Im Gegenteil: Alle sollen gut leben können von ihrem Einkommen, das sei das Ziel. Die Diskussionen um seine Anzüge finde er obsolet: „Ich habe gelesen ich trage Maßanzüge, ich trage Maßschuhe. Nichts davon stimmt. Bruno Kreisky, Franz Vranitzky sind nicht mit dem Ruderleiberl ins Büro gekommen. Österreich erwartet zu Recht, dass der Bundeskanzler unserer Land vertritt und repräsentiert. Wenn sie nachlässig angezogen daherkommen, dann wäre das ganz und gar das falsche Symbol.“

Den bevorstehenden Wahlkampf sehe Kern „mit viel Vorfreude entgegen. Viele Menschen, viele Emotionen, viele spannende Begegnungen.“ Für seine Familienmitglieder möchte er keine Regeln über öffentlichen Äußerungen im Wahlkampf machen, auch nicht seinem ältesten Sohn Niko, der mit einem Tweet gegen die ÖVP bereits für Aufsehen gesorgt hatte. „Wenn jemand volljährig ist, können sie davon ausgehen, dass er eine eigene selbstbestimmte Persönlichkeit ist. Wenn er sich als Staatsbürger äußert wie jeder andere Staatsbürger auch, dann ist das sein gutes Recht. Ob das jemanden in der Politik gefällt, ob das mir gefällt, ist völlig unerheblich.“

"Gibt sicher noch interessante Herausforderungen“

Für die Zukunft halte Kern an seinem 10-Jahres-Plan in der Politik fest. „Danach werde ich etwas anderes machen, es gibt sicher noch interessante Herausforderungen.“ Besonders durch die Lektüre von Shakespeare-Dramen sei er vorbereitet auf die Zeit danach: „Wenn man dort liest von Macht und Intrige und wie es ausgeht, nämlich dass einer seinen Hut nehmen muss, dann ist das eine gute Vorbereitung: denn du weißt, dass du alles was du hast an Macht auch bereit sein musst in der Sekunde zu verlieren. Das ist auch für mich eine Lebenserfahrung: was mich wirklich ausmacht finden sie nicht in diesem Raum, nicht auf meiner Visitenkarte und das wird immer bleiben.“

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„Frühstück bei mir - Persönlichkeiten ganz persönlich“ mit Claudia Stöckl, 11. Juni 2017