Schule und Homescooling

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Stopp dem Notenwahnsinn

Bildungsforscher Stefan Hopmann von der Universität in Wien beschäftigt sich intensiv mit den Folgen des Lockdowns auf unsere Kinder. Gabriela Euler-Rolle hat den alleinerziehenden Vater, der selbst von der Situation betroffen ist, zum Interview getroffen.

Herr Prof Hopmann, Sie haben in einem Interview gesagt: „Was wir den Kindern antun, ist kriminell!“ Warum ist das so?

Ja, wir befinden uns in der größten sozialen, gesundheitsschädlichen, wirtschaftlichen usw. Krise der Zweiten Republik, die sich auf die Lebenswelt der Kinder und Jugendlichen dramatisch auswirkt. Die Forschung zeigt, dass es zu erheblichen Einschränkungen bei Lernmotivation, Lernfähigkeit ähnlichen Dingen führt. Die wichtigste Aufgabe der Schule wäre, darauf Rücksicht zu nehmen. Sie tut genau das Gegenteil. Es fügt zusätzliche Belastungen hinzu und das ist fast kriminell.

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Wie könnte man es denn besser machen?

In Österreich ist so, dass man versucht, so viel es geht vom Lehrplan zu retten, so viel es geht von den Prüfungen zu retten, Das funktioniert nicht wirklich. Die andere Strategie ist, von vornherein zu sagen: unter den Bedingungen kann man nicht so weitermachen wie bisher. Das Wichtigste jetzt ist, die Lernfähigkeit und die Freude der Kinder aufrechtzuerhalten. Das Wichtigste ist, Unterricht als Ort gemeinsamer Krisenerfahrungen aufrechtzuerhalten.

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Aber wie erhält man denn die Lernfähigkeit der Kinder?

Das Wichtigste ist, dass Schülerinnen und Schüler möglichst viele Kontakt miteinander bleiben, möglichst viel miteinander Erfahrungen austauschen können und genau diese gemeinschaftliche Arbeit an den Sachen nicht auf der Strecke bleibt. Und wir wissen aus der Forschung, dass das auch langfristig für den Leistungsentwicklung wichtiger ist, dass diese Gemeinschaftlichkeit des Lernens erhalten bleibt, als jetzt kurzfristig Mathematik, Deutsch, Englisch oder sonst was in die Köpfe rein zu stopfen.

Es wäre aus Ihrer Sicht also vernünftiger, nicht am vorgegebenen Lehrplan festzuhalten, sondern die Kinder in die Schulen zu schicken und miteinander sein zu lassen?

Ja, nicht einfach miteinander sein zu lassen. Es spricht ja nichts dagegen, dass es auch Unterricht gibt. Aber der Hauptfokus der Schule und des Unterrichts, müsse darauf liegen, produktive, positive, gemeinsame Lernerfahrungen zu ermöglichen. Es wäre das Wichtigste, die reinzuholen, die am meisten in der Gefahr sind, auf der Strecke zu bleiben. Weil sie halt zuhause nicht die Ressourcen haben, um so zu tun, als wäre gar nichts passiert. Besser ihr macht weniger, dafür gründlicher und gelassener!

Was würde es denn bedeuten, wenn die schulische Situation so weitergeht?

Es würde den Verlust beim sozialen Lernen bedeuten. Schule ist nicht zuletzt, die anderen treffen, knuddeln, miteinander reden, über die Erwachsenen schimpfen, was immer man da tut. Was übersehen wird, ist, dass jeder Unterricht soziales Lernen ist. Wenn ich komplexere Zusammenhänge im Unterricht verstehe, dann tue ich das normalerweise, weil ich mit den Anderen zusammen verschiedene Optionen auslote und mitverfolge, wie die mit den Sachen umgehen.

Sie haben mir gesagt, dass das Lernselbstvertrauen der Schüler geschädigt wird, was hat das denn für Auswirkungen?

Ich habe schon mal gesagt, die Folgen des falschen Umgangs mit der Pandemie werden uns sehr viel länger beschäftigen als die Pandemie selbst. Aber die Schwierigkeit ist Folgende: Ist das Vertrauen, dass ich das mit Mathe schon hinbekomme, dass ich das nächste Mal einen besseren Aufsatz schreibe, dass ich mich aktive am English Gespräch beteiligen kann, ist dieses Vertrauen erst einmal beschädigt, zweifle ich an meinen eigenen Fähigkeiten. Dann beginnt der Kreislauf der selbsterfüllenden Prophezeihung. Ich ziehe mich mehr zurück, weil ich unsicher bin. Ich kann mich nicht genauso konzentrieren oder genauso frisch fromm frei engagieren, weil ich unsicher bin. Und dann entsteht so eine abwärts Spirale und an Selbstvertrauen. Wir wissen aus der einschlägigen Schulforschung, dass meine Zukunft und meine Leistungsentwicklung primär von diesem Lernselbstvertrauen bestimmt wird und nicht von meinen aktuellen Noten oder den Fähigkeiten in einem einzelnen Fach.

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Wenn Sie es jetzt in Zahlen fassen müssten: um wie viel Prozent wird denn die Lernkapazität verschlechtert?

Die Schätzungen bewegen sich bei bis zu 50 oder 70 Prozent Einschränkungen, wobei es einen ganz klaren Unterschied gibt: Es ist relativ deutlich, dass Kinder, die entweder von Hause aus mit anderen zusätzlichen Ressourcen ausgestattet sind oder auf Schulen treffen, die sensibel auf diese Situation reagieren, es deutlich weniger trifft als die, die das alles nicht haben.

Was wäre denn ihr Aufruf an die Regierung: Was würden Sie ihnen gerne sagen?

Der erste und wichtigste Aufruf wäre: Stampft bitte eure zentralen Vorgaben, was Prüfung und Lernerfolge und sonst was betrifft, ein und vertraut jetzt wirklich mal, dass wir vor Ort, in den Schulen, angemessene Lösungen finden. Zweiter Schritt: Setzt euch hin und überlegt: Da merken wir, dass wir in den letzten 20 - 30 Jahren in unseren Schulen mehr Wert darauf gelegt haben, möglichst viel Wissen in die Köpfe zu hämmern und nicht genug Wert draufgelegt zu haben, den Kindern und Jugendlichen beizubringen, dass die moderne Gesellschaft und auch die moderne Arbeitswelt, von der Fähigkeit abhängt, sich kritisch mit einander über Sachverhalte zu verständigen. Und dass das der Hauptzweck von Schule ist. Dazu müssen wir wieder zurück.

Ö3-Wecker mit Robert Kratky, 20. April 2021