Venus von Willendorf

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Geklärt: Venus von Willendorf ist aus italienischem Gestein

Die Venus von Willendorf wurde aus norditalienischem Gestein geschnitzt, berichten Forscher um Gerhard Weber vom Department für Evolutionäre Anthropologie der Universität Wien. Die Steinzeitjäger und -Sammler hatten demnach schon eine weite Fußreise mit ihr zurückgelegt, bevor sie in der Wachau verloren ging und rund 30.000 Jahre später, im Jahr 1908, ausgegraben wurde.

Die Studie wurde im Fachjournal „Scientific Reports“ veröffentlicht. Einen Beitrag dazu bringt heute (28.2.2022) der „Kulturmontag“ ab 22:50 Uhr in ORF 2.

Die knapp elf Zentimeter große Frauenfigur war wohl ein Fruchtbarkeitssymbol und Glücksbringer für ihre damaligen Besitzer. Sie ist die einzige ihrer Art, die aus einem porösen Gestein namens „Oolith“ (Eier-Stein) hergestellt ist. Das Team um Weber durchleuchtete die Venus nun mit einem hochauflösenden Mikro-Computertomographie-Gerät (microCT). „Wir entdeckten dabei, dass ihr Inneres sehr ungleichmäßig ist“, sagte Weber im Gespräch mit der APA. Das gab den Forschern die Möglichkeit, ihre bisher rätselhafte Herkunft zu bestimmen.

Zunächst konnten sie durch einen glücklichen Zufall eine Herkunft aus dem Wiener Becken ausschließen, wo Oolithe vorkommen, berichtete der Forscher: Im Inneren der Venus entdeckten die Wissenschaftler ein eingelagertes Stück Muschelschale. Dabei handelte es sich um ein zweieinhalb Millimeter kleines Fragment des „Muschelschlosses“ (Umbo). Dieses war laut Paläontologen charakteristisch für Muscheln aus der Jurazeit (die bis vor 145 Millionen Jahre datiert ist), während die Wiener Oolithe aus dem „Miozän“ stammen und somit höchstens 23 Millionen Jahre alt sind.

Venus von Willendorf

NHM Wien

Auch der Ursprung der Löcher in der Figurine konnte geklärt werden.

Die beiden Geologen Alexander Lukeneder und Mathias Harzhauser von der Geologisch-Paläontologischen Abteilung des Naturhistorischen Museum (NHM) Wien, wo die berühmte Figurine ausgestellt ist, besorgten Vergleichsproben von 33 Steinbrüchen nicht nur in Österreich und Tschechien, wo man die Herkunft bisher vermutete, sondern aus 1.800 Kilometern Umkreis: Von Frankreich im Westen bis zur Ukraine im Osten, von Deutschland im Norden bis Sizilien im äußersten Süden. So wie Kriminologen die Fingerabdrücke von Verdächtigen jenen am Tatort gegenüberstellen, verglichen die Wissenschaftler die inneren Gesteinsstrukturen der Venus und der anderen Proben miteinander.

„Dabei wurde die Größe der Körner vermessen, mehrere Tausend davon mit Bildverarbeitungsprogrammen automatisch oder manuell markiert und die Strukturen verglichen“, so die Forscher in einer Aussendung der Uni Wien: „Keine der Proben im Umkreis von 200 Kilometern passte auch nur annähernd.“ Darunter war auch jene des 136 Kilometer von Willendorf entfernten Steinbruchs Stránská skála bei Brünn (Tschechien). 2008, hundert Jahre nach dem Venusfund, hatten Geoarchäologen eine Studie veröffentlicht, in der sie anhand von äußerlichen Vergleichen mit dem Mikroskop dort den Ursprung des Venusgesteins annahmen. Laut Webers tiefergehenden Untersuchungen ist es aber definitiv nicht von dort.

Eine Reise über viele Generationen hinweg

Stattdessen stammt es mit wohl mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit aus der Nähe des Ortes Ala unweit des Gardasees in Norditalien, erklärte Weber. Die Proben von dort waren statistisch nicht von jenen der Venus zu unterscheiden, so die Wiener Forscher. Demnach hat die Figurine, oder zumindest ihr Material, eine hunderte Kilometer weite Reise von südlich der Alpen bis zur Donauregion nördlich der Alpen mitgemacht. Vermutlich hat diese Wanderung viele Jahre oder sogar Generationen gedauert, erklärte Weber: Die damaligen Menschen waren Jäger und Sammler, die abhängig vom jeweiligen Klima und der Beutetiersituation von einem günstigen Standort zum nächsten gezogen sind. „Vorzugsweise folgten sie damals den Flüssen“, sagte er.

Möglicherweise kam die Venus um die Alpen herum über die Pannonische Tiefebene in die Wachau, meint Weber. Es könnte aber auch über die Alpen entlang der Flussläufe der Etsch, des Inns und der Donau geschehen sein. Dieser Weg wäre zwar gut 730 Kilometer lang, würde aber größtenteils (außer einem kurzen Stück beim Reschensee) unterhalb von 1.000 Metern Seehöhe liegen.

Oolith

Pixabay

Einschlüsse lassen Rückschlüsse auf die Oolith-Herkunft zu.

Sollte der Venus-Ursprung doch nicht in Italien liegen, wäre die nächstpassende Alternative bei Isjum in der Ostukraine. Dieser Ort liegt aber 1.600 Kilometer Luftlinie von Willendorf entfernt, außerdem stimmen die dortigen Proben nicht so gut wie jene aus Italien mit dem Venusgestein überein, berichten die Forscher.

Sie erfuhren bei der Vergleichsanalyse auch einiges über das Innenleben der Venus: „Der Oolith besteht aus lauter kleinen, zusammenklebenden Steinchen“, erklärte Weber. Die einzelnen Steinchen (Ooide) wiederum entstanden durch Kalkanlagerungen an winzige Körnchen. Durch die Millionen Jahre Lagerung haben sich beim Venusgestein diese inneren Körnchen aufgelöst. Dadurch sei es sehr porös und leichter mit Stein- oder Knochenwerkzeug zu bearbeiten als „durch und durch harte“ Gesteine.

„Zwischen diesen Ooiden befinden sich in der Venus nebst Muschelresten auch sechs sehr dichte, größere Körnchen, sogenannte Limonite“, berichten die Wissenschaftler. Bisher ebenfalls rätselhafte, halbkugelförmige Vertiefungen an der Oberfläche der Figurine haben den gleichen Durchmesser wie die inneren Limonite. „Sie sind vermutlich dadurch entstanden, dass dem Schöpfer der Venus die harten Limonite beim Schnitzen herausgebrochen sind“, sagte Weber: „Beim Nabel hat er dann offenbar aus der Not eine Tugend gemacht.“

(APA)