Conchita Wurst

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Wie politisch ist der Eurovision Song Contest?

  • Was geht beim Song Contest und was nicht?
  • Gerade gibt es Diskussionen um politische Songzeilen in Israel und beim deutschen Beitrag braucht es eine Text-Änderung.
  • Den Song Contest kann man natürlich politisch sehen - es kommt nur drauf an, was man darunter versteht.
  • Max Bauer aus der Ö3-Redaktion hat Beispiele aus der langen ESC-Geschichte.

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Die Künstlerinnen und Künstler, die beim Eurovision Song Contest (ESC) auftreten und auch die Songs, dürfen laut ESC-Regeln nicht das Ansehen des Bewerbs herabwürdigen - und die Regeln sagen auch: Beim Song Contest sind keine politischen Botschaften erlaubt.

Aktuell gibt es etwa Diskussionen zwischen der EBU, die den Song Contest organisiert, und dem Israelischen Sender KAN, weil der Song aus Israel politisch sein soll. Der Song ist zwar noch gar nicht veröffentlicht, aber soll „October Rain“ heißen und im Text Bezug nehmen auf die Hamas-Anschläge letzten Oktober in Israel. Es gibt auch Berichte aus Israel zu einem zweiten Song mit dem Titel “Dancing Forever”, der ebenfalls von der EBU abgelehnt worden sein soll.

Es kommt wohl auch darauf an, was man darunter versteht, wenn man sagt, der Song Contest sei politisch. Sind Songtexte gemeint? Meint man, dass sich manche Länder wie Griechenland und Zypern kulturell nahe stehen und es deshalb beim Voting gegenseitig viele Punkte gibt? Sind Botschaften gemeint, die durch einen Sieg, wie jenem von Conchita Wurst, transportiert wurden? Oder geht es vielleicht eher um Aussagen von Moderatorinnen des Bewerbs?

Es gibt übrigens Musik-Studien, die zeigen, 10 bis 20 Prozent aller Popsongs sind politisch. Wieso sollte das beim Song Contest anders sein?

Das war das 2. Semi-Finale beim Eurovision Songcontest

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Das Team Österreich beim ESC 2023 in Liverpool. Dieses Jahr wird Sängerin Kaleen Österreich beim ESC in Malmö vertreten - mit ihrem Song „We Will Rave“.

Nicht politisch - aber auch bemerkenswert: Der deutsche ESC-Beitrag muss geändert werden! Grund ist, dass im Text das Wort „shit“ vorkommt - die EBU verlangt eine Textänderung. Schweden hat 2017 auch den Text eines Beitrags geändert von „fucking beautiful“ zu „freaking beautiful“

Hier ein paar Beispiele aus der Geschichte, die auf verschiedene Arten die Verbindung vom ESC und Politik zeigen. Aber eines noch zum Begriff: polītikós kommt aus dem griechischen und bedeutet „den Bürger betreffend“. Man kann sagen: Wenn Leute zusammenkommen, sich mit etwas beschäftigen, dann ist das politisch. Das kann man gut finden oder schlecht - betrifft aber ganz sicher auch den Eurovision Song Contest.


Italien 1974

Der italienische Fernsehsender RAI strahlte den Song Contest 1974 nicht live aus. Grund war ein Referendum über eine Beibehaltung des Verbots der Scheidung einer Ehe am Tag nach dem ESC. Die RAI hatte sorge, dass der italienische Beitrag „Si“ („Ja“) die Zuseherinnen und Zuseher in Bezug auf das Referendum hätte beeinflussen können. Italien landete beim ESC 1974 auf dem zweiten Platz hinter ABBA aus Schweden.

Portugal 1974

Der portugiesische ESC-Song „E depois do adeus“ („Und nach dem Abschied“) diente siebzehn Tage nach dem ESC in Brighton als Radio-Startsignal für die Nelkenrevolution, die die fast fünfzig Jahre andauernde portugiesische Diktatur beendete.

Griechenland 1976

Sängerin Mariza Koch protestierte mit ihrem Titel „Panagia mou, Panagia mou“ („Mutter Gottes, Mutter Gottes“) gegen die Abspaltung Nordzyperns vom restlichen Zypern. Die Abspaltung ist damals von der Militärregierung der Türkei unterstützt worden.

Norwegen 1980

Das Lied „Sámiid ædnan“ („Lappland“), das Norwegen 1980 zum ESC geschickt hat, enthält typische musikalische Elemente der Samen und wurde vom Komponisten damals geschrieben, um diese ethnische Minderheit in ihrem politischen Kampf zu stärken. Das ist also eine Art kulturelle Diplomatie gewesen, die da beim ESC betrieben wurde.

Ukraine 2007

Gegen den ukrainischen Beitrags von 2007 „Dancing Lasha Tumbai“ legte Russland Protest ein - ohne Erfolg. Die EBU sah die Ähnlichkeit der Worte „Lasha Tumbai“ mit „Russia Goodbye“ nicht gegeben. Das Management hatte angegeben, „Lasha Tumbai“ sei mongolisch für „Schlagsahne“, was mongolische Übersetzerinnen und Übersetzer nicht bestätigen konnten. Die Ukraine erreichte in diesem Jahr den zweiten Platz.

Georgien 2009

2009 forderte die EBU nach einem russischen Protest Georgien auf, den Text des Beitrages „We Don’t Wanna Put In“ zu ändern, da sich die Worte „Put In“ wie der Name des damaligen Ministerpräsidents von Russland, Wladimir Putin, anhörten. Georgien, das sich im August 2008 mit Russland im Krieg befunden hatte, verweigerte eine Änderung oder einen Tausch des Songs und konnte somit nicht am Bewerb teilnehmen.

Österreich 2015

Der Sieg von Conchita Wurst wurde von vielen als politisches Statement für Offenheit gesehen. In Russland sorgte Conchita für heftige Reaktionen: Ein russischer Abgeordneter etwa sprach im Zusammenhang mit Conchita Wurst vom Ende Europas und sagte, der Truppenabzug der Sowjetarmee aus Österreich 1955 am Ende der Besatzungszeit nach dem zweiten Weltkrieg sei ein Fehler gewesen.

Conchita Wurst

Hitradio Ö3/Nobert Ivanek

Aus Protest gegen Conchita Wurst und ihren Bart, dokumentierten Russen in den Tagen nach Conchitas Sieg auf Twitter, wie sie sich ihren Bart abrasierten oder twitterten ein Foto mit Rasierschaum um ihren Mund.

Song Contest 2016

Måns Zelmerlöw, ESC-Gewinner vom ESC 2015 in Wien und Co-Moderator des ESC 2016 in Stockholm, nutzte Liebeslieder in der Show als Anlass für das folgende Statement in seiner Moderation: „Viele Lieder über Liebe heute. Das war Dänemark mit ‚Soldiers of Love‘ und davor haben wir den bulgarischen Beitrag ‚If Love Was а Crime‘ gehört. Wisst ihr was... leider ist Liebe immer noch ein Verbrechen in einigen Teilen der Welt. Ich hoffe, ich werde den Tag erleben, wenn das nicht mehr so ist. Hier, heute Nacht, fühle ich aber nichts anderes als Liebe.“

ESC-Host Måns Zelmerlöw auf der Bühne in Stockholm beim ESC 2016

Britta Pedersen / dpa / picturedesk.com

ESC-Host Måns Zelmerlöw auf der Bühne in Stockholm beim ESC 2016

Armenien 2016

Künstlerinnen und Künstler können nicht nur durch Songtexte politische Statements setzen. Beim ersten Semifinale des ESC 2016 in Stockholm hielt die armenische Teilnehmerin Iveta Mukuchyan während einer kurzen Einstellung im Greenroom die Fahne der zwischen Armenien und Aserbaidschan umstritten Region Bergkarabach in die Kamera. Die EBU überprüfte den Fall später, es gab aber keine Konsequenzen für den Armenischen Sender oder Sängerin Iveta Mukuchyan. Nach einem Krieg und einer Blockade ist die Region Bergkarabach seit September 2023 unter alleiniger Kontrolle Aserbaidschans.

Sängerin Iveta Mukuchyan aus Armenien jubelt mit der Fahne der Republik Bergkarabach beim ersten Halbfinale des Eurovision Song Contests 2016 in Stockholm

Ola Axman / Action Press / picturedesk.com

Sängerin Iveta Mukuchyan aus Armenien jubelt mit der Fahne der Republik Bergkarabach beim ersten Halbfinale des Eurovision Song Contests 2016 in Stockholm

Ukraine 2016

Selten zuvor wurde so intensiv darüber gestritten, ob ein Song (zu) politisch ist, wie bei dem Titel „1944“ der ukrainischen Sängerin Jamala. Sie gewann damit den ESC 2016. Der Text thematisiert die massenhafte Zwangsumsiedelung der Krimtartaren von der Krim nach Zentralasien während des Zweiten Weltkrieges.

Jamala verneint in Interviews, dass ihr Song ein politisches Statement sei und gibt an, sie wolle ihre Familiengeschichte erzählen. Jamalas Urgroßmutter wurde 1944 mit ihren fünf Kindern in einen Güterwagon gesperrt und von der Krim nach Zentralasien deportiert. Beobachterinnen und Beobachter des ESC 2016 legen nahe, es sei kein Zufall, dass die Ukraine zwei Jahre nach der Annexion der Krim durch Russland im März 2014 einen Beitrag zum Bewerb schickte, der die Krim(tataren) ins öffentliche Licht rückt.

Jamala auf der Bühne beim Song Contest 2016

Martin Meissner / AP / picturedesk.com

Kürzlich trat Jamala bei einem Benefizkonzert in Wien auf: United for Ukraine – Lautstark für Frieden

Ö3-Reporter Max Bauer, der diesen Artikel gestaltet hat, hat seine Master-Arbeit in Politikwissenschaft über den Eurovision Song Contest geschrieben. Teile dieses Artikels hat er aus dem Kapitel „ESC und Politik“ seiner Masterarbeit übernommen.

Dieser Beitrag begleitet die Sendung „Ö3 Wecker“, 28. Februar 2024 (Max Bauer)